Gestaltungswille statt Privilegien – Der Führungskräftemarkt in der Energiewirtschaft

Dezember 2015

Es geht jetzt um Manager, die die Energiewende erfolgreich umsetzen. Und vor allem geht es um Entscheider und kreative Köpfe, die belastbare neue Geschäftsmodelle entwickeln und mit den vorhandenen Teams und Ressourcen durchsetzen. Und es geht – mehr als je zuvor – darum, Prozesse und Systeme auf die neuen Herausforderungen auszurichten und wettbewerbsfähig zu machen.

Das klingt im ersten Moment gut. Nach neuen Chancen, nach spannenden Herausforderungen. Und tatsächlich: Diese Jobs gibt es.
Zum Beispiel im Bereich der Rekommunalisierung von Strom- und Gasnetzen – wenn gleichzeitig die bürgernahe Energiewende zur Maxime erhoben wird. So geschehen bei der Neugründung der Stadtwerke Stuttgart, wo seit drei Jahren heftig an neuen, grünen, nachhaltigen Geschäftsmodellen „gewerkelt“ wird. Oder bei Eon Connecting Energies. Seit zwei Jahren Gravitationszentrum zur Beweisführung, ob auch Großkonzerne in der Lage sind, kleinteilige dezentrale Energielösungen marktfähig zu machen.

Beide Unternehmen sind Magneten für ambitionierte Manager, die einen spürbaren Beitrag für eine erfolgreiche Umsetzung der neuen Energiepolitik in Deutschland und darüber hinaus setzen wollen. Als Personalberater staunen wir zunächst über die Kompromissbereitschaft dieser Interessenten. Dann entwickeln wir Respekt vor der authentisch vorgetragenen Überzeugung, bereit zu sein, für einen gesellschaftspolitisch gewollten Gestaltungsauftrag bisher so liebgewonnene vertragliche Privilegien wie kommode Gehälter, Versorgungsregelungen und Kündigungsschutz hintanzustellen.

Merklich erhöhte Liquidität im Führungskräftemarkt

Das ist gewissermaßen die Sonnenseite des Führungskräftemarktes in der Energiewirtschaft, wo positive Dynamik und Energetik nicht nur auf der Produkt-, sondern auch auf der Personalseite stattfindet. Aber es gibt eben auch die andere Seite, die mindestens genauso groß ist. Heerscharen von Führungskräften machen sich Sorgen um ihren aktuellen Job oder befürchten zumindest den Verlust weiterer Entwicklungsperspektiven.
Anders als in früheren Krisen blenden insbesondere die Konzerne bei ihren Sanierungsprogrammen die gut bezahlten Positionen nicht mehr aus. Personalreduzierungen um 20 oder 30 Prozent innerhalb weniger Jahre sind nach unserer Einschätzung bei mindestens einem Viertel der Unternehmen der Energiewirtschaft auf der Tagesordnung. Nicht alle diese Jobs sind weg, aber sie sind häufig nicht mehr in der Regie der Energieversorger selber, sondern eher bei professionellen Dienstleistern, die Teile der bisher integrierten Wertschöpfungskette von den Energieversorgern übernehmen − und dies meist zu deutlich günstigeren Konditionen und somit auch schlechteren Bedingungen für die betroffenen Arbeitnehmer. Bei allem Klagen und Jammern über diese Entwicklung muss man feststellen, dass die Energiewirtschaft hier nur eine Entwicklung nachvollzieht, die in anderen Branchen längst abgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Der Druck ist einfach größer geworden und führt notwendigerweise zu Konsequenzen.

Deutlich konsequenter sind auch die Aufsichtsräte von Stadtwerken geworden. Gab es früher noch einen Automatismus für Vertragsverlängerungen (wenn nicht die berühmten goldenen Löffel gestohlen wurden), steht heute zum jeweiligen Laufzeitende der Geschäftsführer- und Vorstandsverträge eine Prüfung an, ob der Stelleninhaber denn auch für die Zukunft die richtige Lösung sei. In der Folge kommt es bereits seit einigen Jahren zu einer deutlich höheren Umschlagsgeschwindigkeit auf Top-Positionen. In der Terminologie des Energiehandels würde man von einer merklich erhöhten Liquidität im Führungskräftemarkt sprechen, zumal die verstopften Karrierepipelines bei den Konzernen bereits seit drei Jahren zu einer „Flutung“ der
Kandidatenmärkte führen.

Wir raten den Stadtwerken dabei, den erleichterten Zugriff auf das teils gut qualifizierte Managementpotenzial aus den Konzernen auch zu nutzen und sich nicht in der Verteidigungsrolle eines inzwischen längst überholten Kulturkampfes zwischen Stadtwerken und Konzernen zu verstecken. Insbesondere im Bereich technischer Qualifikationen ist es ratsam, die Potenziale zu nutzen, um die bereits zu beobachtende Überalterung in diesem Bereich zu lindern.
Apropos Demographiefalle: Nach unserer Beobachtung haben viele Unternehmen bereits begonnen, die Altersstrukturen ihrer gesamten Belegschaft transparent zu machen. In den meisten uns bekannten Unternehmen wird es etwa ab 2020 zu einem massiven altersbedingten Abgang kommen, der dann auf einen eher leer gefegten Arbeitsmarkt trifft. Wenn die Unternehmen nicht bereits heute damit beginnen, diese Entwicklung auf der Zu- wie auf der Abgangsseite vorauszuplanen, kann es zu Schwierigkeiten kommen.

Jünger, weiblicher, digitaler

Um Potenziale geht es auch bei dem Dauerthema Frauen. Über kurz oder lang wird es auch für die Unternehmen der Energiewirtschaft Frauenquoten geben. Wir empfehlen, nicht furchtsam auf kommende gesetzliche Vorgaben zu starren, sondern sich eher damit zu beschäftigen, das in vielen Unternehmen noch immer brachliegende Potenzial weiblicher Führungskräfte gezielt zu fördern, um damit Leistungsfähigkeit und Kultur der Führungsteams zu steigern. Jenseits von Quoten bietet das Frauen- und vielleicht auch das Migrantenthema Lösungsansätze für Engpassberufe und bevorstehende altersbedingte Abwanderungen erheblicher Teile der heute noch aktiven Führungsteams.
Es ist also nicht alles schlecht im Führungskräftemarkt der Energiewirtschaft. Dynamikpotenziale – und damit die Chance auf neue Perspektiven – liegen in der Energiewende, in der Demographie und in der Gender-Thematik.

Einen Megatrend haben wir allerdings noch vollkommen vernachlässigt: die Digitalisierung. Disruptive Innovationen, also die vollständige Entwertung bisher geübter Geschäftsmodelle, werden in vielen Fällen durch die Digitalisierung erst möglich. Innerbetrieblich eröffnen sich neue Effizienzpotenziale, aber die eigentliche Revolution findet in der Beziehung der Marktakteure untereinander statt. In Verbindung mit der Energiewende werdenwir noch in diesem Jahrzehnt deutliche Strukturveränderungen erleben und neue Akteure auf den Plan rufen. Deshalb sollte die neue Energiewirtschaft endlich ihre Zurückhaltung aufgeben und Know-how-Trägern aus anderen Branchen die Türen öffnen. Technologieaffine Innovateure sind auf allen Ebenen gefragt. Lüften wir einmal kräftig durch und nutzen die Chancen der digitalen (Energiewende-)Revolution. Sonst müssen wir akzeptieren, dass der von uns bestimmte Teil der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette dramatisch kleiner wird.

Dr. Klaus Aden ist Geschäftsführender Gesellschafter der LAB & Company, die zu den führenden Personalberatungsgesellschaften der Energiewirtschaft in Deutschland zählt. Die Düsseldorfer Personalberater wickeln jährlich rund 40 Such-Mandate für Stadtwerke, Konzerne und Dienstleister ab, davon etwa die Hälfte auf Organebene

Quelle: Energie & Management

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